Die abenteuerliche Reise in ein Land, das es nicht gibt: Transnistrien

Als ich vor ein paar Tagen in Chisinau, Moldawien, ankam, ging ein gewaltiger Gewitterregen nieder. Heute, bei meiner Abreise nach Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens, regnete es in Strömen.

Um 7.45 Uhr löse ich an einem kleinen Schalter neben dem Busbahnhof ein Billett für die zweistündige Fahrt zum Preis eines Kurzstreckenbilletts der VBZ. Wie versprochen setzt sich der Kleinbus zehn Minuten später mit fünf Passagieren in Bewegung und kämpft sich durch den Morgenverkehr. Kurz danach hält er aber wieder abrupt und ein käsebleicher Passagier, dem offensichtlich schlecht ist, steigt aus ringt nach Luft. Wie sich später beim persönlichen Gespräch herausstellt, war er am Vorabend an einem Weinfestival in Chisinau und der moldawische Wein hat ihm sehr geschmeckt, was ich gut nachvollziehen kann. Weiter gehts, aber nicht lange, dann heisst es aussteigen und Bus wechseln, Dier andere Bus, ein Mercedes-Kleinbus aus den 80er oder frühen 90er Jahren ist schon recht voll und enger gestuhlt, so dass ich nur noch seitwärts sitzen kann, mit den Knien im Gang. Aber immerhin geht es dem weinseligen Mitfahrer neben mir nun etwas besser. Es giesst immer noch in Strömen und fährt ab.  

Ich merke schnell, dass der Bus keine Scheibenwischer hat! Der vierschrötige, etwas 60jährige Fahrer ist aber die Ruhe selbst, fährt einhänding - die andere braucht er, um sich mit einem Fahrgast zu unterhalten oder vom selbstgebastelten Ablagebrett heruntergefallene Papiere und  Geldscheine aufzuheben - mit geschätzten 80 kmh im Blindflug durch den Regen. Den  zahlreichen Schlaglöchern auszuweichen, versucht er aber gar nicht erst. Aber dem Weinliebhaber neben mir geht es glücklicherweise immer noch gut.

Halt an der Grenze, Passkontrolle. Ich war durch Reiseforen schon darauf vorbereitet, dass ich unbedingt auf einer "migration card" bestehen muss. Fehlt diese bei der Ausreise - so die Erfahrungsberichte von Reisenden -  würden die Grenzer nach eigenem Gutdünken eine hohe Busse verlangen, die man dann stundenlang auf ein zahlbares Mass herungerhandeln müsse. Natürlich bin ich der einzige Ausländer im Bus und werde von der Beamtin freundlich aus dem Bus zu einem nahen Gebäude - es regnet immer noch Bindfäden - an einen Schalter gewiesen. Dort bekomme ich ohne Nachfrage die "migration card", einen kleinen, kassenbonähnlichen Zetter, auf der steht, dass ich mich 48 Stunden in Transnistrien aufhalten darf. Die späteste erlaubte Ausreisezeit ist mit Datum, Stunde, Minute und Sekunde (!) auf dem Dokument festgehalten. Dann zeigt sie mir ein gut kreditkartengrosses, plasifiziertes und schon häufig gebrachtets Dokument und macht eine Handbewegung, wie ein Autofahrer, der das Steuer bewegt. Was jetzt? Will sie meinen Fahrausweis sehen? Aber ich bin doch nicht der Busfahrer! Offensichtlich mache ich ein ziemlich ratloses Gesicht und die Grenzbeamtin drückt mir dann wie einem kleinen Kind dieses Dokument einfach in die Hand. Schön, also nehme ich doch das gerne entgegen, vielleicht gibt sie mir das als Souvenir? Ich renne - natürlich immer noch bei strömendem Regen - zum Bus, der 100 Meter weiter vorne parkt und steige ein, Pass, migration card und mein Souvenir in der Hand. Letzteres wird mir aber sofort vom Busfahrer abgenommen. Aha - das war also für ihn, deshalb die Handbewegung, doch kein Souveninr.

Weiter gehts, die Stimmung im Bus wird lockerer, und ich unterhalte mich die letzte halbe Stunde so gut mit den Mitfahrenden, dass ich gar nicht mehr an die fehlenden Scheibenwischer denke. Welcome in Transnistria.

Transnistrien

Transnistrien liegt zwischen der Republik Moldau und der Ukraine, 200 km lang, aber nur zwischen 2 km und 20 km breit. Es ist das einzige europäische Land, das noch Hammer und Sichel im Wappen führt, wo Strassen noch die Namen von Lenin, Luxemburg, Liebknecht und Marx tragen und das Parlament "Oberster Sowjet" heisst. 

Transnistrien hat eine eigene Währung, eigene Autonummern, Polizei und Grenzkontrollen - und das Land hat letzte Woche seinen 28. Geburtstag gefeiert...

 

ABER: Transnistrien ist von keinem andern Land anerkannt!

Wie konnte es zu diesem einzigartigen Konstrukt kommen?

Als Ende der 80er Jahre die Sowjetunien zerfiel, erklärte sich die Sowjetrepublik Moldau unanbhängig und die neue, sehr westlich orientierte Führung strebe den Anschluss an Rumänien an. Dagegen wehrte sich der russischstämmige Teil des Landes und wollte nach wie vor sozialistisch bleiben und sich klar gegen den kapitalistischen Westen abgrenzen. Moldau versuchte sogar die abtrünnigen Gebiete militärisch zurück zu erorbern, verlor dabei aber endgültig diese Gebiete östlich des Dnjestr.

Geklärt wurde die Situation aber nicht. Transnistrien lebt heute unter der Schutzherrschaft - auch militärisch - Russlands, welches das Land aber auch nicht offiziell anerkannt hat. So leben die rund 500'000 Bürger/-innen in einem Staat, den es nicht gibt, haben einen Pass, mit dem sie in kein anderes Land reisen können, fahren Autos, mit denen sie nie über die Grenze kommen. Allerdings haben die meisen Transnistrier zwei oder sogar drei Pässe, ausser dem transnitrischen noch den russischen und/oder den moldawischen. Man arrangiert sich...

Transnistrien wurde schon das "Freilichtmuseum des Kommunismus" genannt und in der Tat fühlt man sich in die Sowjetunion der 70er Jahre zurück versetzt: Einerseits optisch: die tristen Wohnblocks das Warenangebot in den wenigen Läden, die Denkmäler. Auch die Strassen sind leer, genauso die seltenen Restaurants - in der sowjetischen Hemisphäre belebte der Mensch nicht den öffentlichen Raum, ausser bei offiziellen Anlässen wie dem 1. Mai. Aber auch im Lebensstil ist der Kommunismus spürbar: Im Hotel, in dem ich übernachtete - vier Sterne nach eigener Deklaration - gab es das Frühstück nicht von... bis..., sondern um 9 Uhr. Nichts da dekadenter Individualismus, wo jeder sich wann es ihm beliebt ans Frühstücksbüffet stellen und dem Personal unnötige Arbeit bescheren kann! Zum Frühstück wird im Kollektiv angetreten!

Auch der Kauf eines Bahnbilletts war nicht so einfach. Zuerst musste ich hinter einem Kunden, der sich mehrere Billette kaufte, fast eine Stunde warten. Ich ahnte schon böses als ich sah, dass die Beamtin ganz viele Daten aus vier oder fünf Reisepässen in den Computer übertrug. Als ich dann an die Reihe kam, wurde ich auch nach dem Pass gefragt. Ich gab der Beamtin meine ID, die ich immer dabei habe, aber damit liess sie sich nicht abspeisen. Mein nettestes Lächeln, all mein verbliebener Charme und meine unschuldigste Bedeuerung, ich hätte keinen Pass, halfen nichts, auch nicht bei der Vorgesetzten, auch nicht bei der danach noch beigezogenen Immigrationsbeamtin. Das Verdikt war klar: Ohne Pass kein Fahrschein! Also musste ich doch zurück ins Hotel den Pass holen. Danach dauerte das Ausstellen des Billettes höchstens noch 20 Minuten.

Dabei muss ich aber sagen, dass alle immer sehr höflich und beflissen waren. Ich wurde nie, wie früher in sozialistischen Ländern, von oben behandelt oder sogar angeschnauzt. Auch im Restaurant, im Hotel oder beim Coiffeur war die Bedienung immer zuvorkommend und gut.

Ich fand meinen Kurzbesuch in Transnistrien zwar interessant und kam zum Teil aus dem Staunen nicht mehr raus. Anderseits war die Atmosphäre auch sehr drückend und ich kann es gut verstehen, dass die Abwanderung in diesem Land noch grösser ist als im übrigen Balkan. Am Morgen ging ich zum Bahnhof, an dem pro Tag zwei Züge halten. Einer nach Chisinau, der andere nach Odessa. Gerne bestieg ich den Zug nach Odessa.

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Kommentare: 2
  • #1

    Hoffmann (Sonntag, 16 September 2018 19:59)

    Richtig schöner, launiger Text. Ist das Galgenhumor, weil es sonst zum heulen wäre? Oder trägt die Entwicklung dieses Landes zu Wohlbefinden bei - wäre doch mal eine Überlegung wert - weil es ein ganz anderer Ansatz wäre. Weiterhin gute Reise
    Barbara

  • #2

    Peter Brinks (Montag, 26 November 2018 19:28)

    Salve Willi, bin gerade auf der Abschiedstour bei unseren/meinen Internationalen Austausch Partnern. Amalfi Küste. Vier Sterne. Da lese ich Deinen Reisebericht aus dem Steinzeitkommunismus und mir fällt die alte Weisheit wieder ein: "Wer mit 20 kein Kommunist ist, ist ein Idiot" Wer mit 40 immer noch einer ist - auch"
    Mit 65 denke ich nun: O.K. war ein Fieberabfall der Vernunft - aber Genuss ist auch nicht alles. Der Müll, die Gegensätze, der neue Nationalismus überall - wäre was meine innere Gelassenheit angeht manchmal gern wieder 20.