Xinjiang - Big Brother is watching you

Um die heutige Situation in Xinjiang zu verstehen, muss man etwas zurückblenden.

 

Xinjiang ist die östlichste und grösste Provinz Chinas. Sie ist 40mal grösser als die Schweiz und hat 24 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Davon sind 45% Uiguren und 40% Han-Chinesen.

Die Uiguren sind sunnitische Moslems und sprechen eine Turksprache, benutzen aber die arabische/iranische Schrift. Sie stammen ursprünglich aus der heutigen Mongolei und sind im 9.Jh. nach Xinjiang eingewandert, wo sie einen eigenen Staat gründeten, der aber schon bald von den Mongolen abhängig wurde. Im 18. Jh. wurde das dünn besiedelte und überwiegend von Uiguren bewohnte Gebiet in das chinesische Reich eingegliedert.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 wurden aus allen Teilen Chinas systematisch Han-Chinesen hier angesiedelt, welche bald die Wirtschaft dominierten. Dies führte zu ethnisch-religiösen Spannungen und separatistischen Tendenzen unter den Uiguren, was die chinesische Regierung mit Repression beantwortete. Die Situation eskalierte in den späten 90er Jahren: Bei einer von westlichen Beobachern als friedlich geschilderten Demonstration gegen die Hinrichtung von 30 wegen Separatismus verurteilten Uiguren griff die Armee ein. Es kam laut offiziellen Angaben zu neun, nach anderen Schilderungen zu über 100 Toten. Terroranschläge der Separatisten wechselten sich in den folgenden Jahren mit tödlicher Polizeigewalt ab. 2009 gingen im Zentrum von Urumqi Han-Chinesen und Uiguren mit Waffen aufeinander los. Resultat: Rund 200 Tote und über 1700 Verletzte.

2014 griffen die Auseinandersetzungen auch auf andere Provinzen über: Am 1. März attackierten neun Terroristen einer islamistischen Uigurenorganisation im Bahnhof von Kunming mit Messern und Macheten wahllos die Passagiere und richteten ein fürchterliches Massaker an: 29 Menschen starben und 147  erlitten zum Teil schwere Verletzungen.

Am 22. Mai desselben Jahres forderte ein Terroranschlag auf einen Markt in Urumqi 31 Todessopfer. (Bild: NewsWatch)

Die chinesische Regierung setzte immer mehr auf Repression und baute systematisch die Überwachung der Bevölkerung in Xinjiang aus. Dabei wurden einerseits alte Überwachungsmethoden aus kommunistischer Zeit wie das Blockwartsystem reaktiviert. Vor allem aber nutzt China moderne Techniken zur lückenlosen Kontrolle der Menschen. Dies hat viele Aspekte:

  • Kameras im öffentlichen Raum: Die Provinzhauptstadt und andere grosse Städte wurden mit einem Netz von Kameras mit Gesichtserkennung überzogen. Ich vermute, es gibt in der 2 Millionenstadt keinen toten Winkel im öffentlichen Raum. Sämtliche Strassen, Hinterhöfe, Restaurants, Hotels sind kameraüberwacht.

Bild: NZZ

  • Jedes Taxi ist mit zwei bis drei Kameras im Innenraum (Fonds und Beifahrersitz) ausgestattet. Die offizielle Begründung dazu: Liegen gelassene Gegenstände können so dem Passagier zurück gegeben werden. Zudem verfügt jedes Taxi über ein vom Staat eingebautes GPS und ist somit immer lokalisierbar.
  • Autos werden regelmässig geblitzt, d.h. fotografiert. Ich schätze, wenn man mit dem Auto ganz Urumqi durchquert, wird man 30 bis 40 mal geblitzt.
  • Überlandbusse passieren zwischen den Städten Checkpoints. Hier müssen alle Passagiere aussteigen, sie werden fotografiert und die Fotos automatisch mit der gescannten ID verglichen. Ist dann ein Ausländer mit im Bus, kann sich die Kontrolle verlängern und die Weiterfahrt verzögeren. So passiert auf meiner Busfahrt von Urumqi nach Tulufan.
  • Grössere Messer - wie hier das Fleischermesser in einem kleinen Restaurant (rechts unten im Bild) - müssen angekettet sein und verfügen zusätzlich über einen QR-Code. Messer sind in Xinjiang schwieriger zu erwerben als Schusswaffen in den USA und werden auch konfisziert, wenn sie im Gepäck von Touristen an (Bus-)Bahnhöfen entdeckt werden. Uiguren hätten bei einem Messerfund wahrscheinlich mit schwerwiegenderen Konsequenzen zu rechnen.
  • Vor allem in der Provinzhauptstadt Urumqi gibt es ein dichtes Netz von gut sichtbaren Polizeiposten. Personenkontrollen fanden dort oder an andern Orten zur Zeit meines Aufenthalts zwar keine statt (auch ich wurde nie kontrolliert), aber die Polizei ist dadurch permanent im ganzen Stadtbild präsent.
  • In den alten Wohnbezirken in Tulupan (Turpan) sind die Hofeingänge mit handbemalten Bildern geschmückt. Vor rund drei Jahren wurden von der Regierung muslimische Inhalte wie z.B. Abbildungen von Moscheen, übermalt:

Dies sind alles Manifestationen des Überwachungsstaats, die ich als Reisender während meines kurzen Aufenthalts in Xinjiang wahrgenommen habe. Dabei handelt es sich nur um die  Oberfläche des raffiniert gewobenen Überwachunsnetzes. Glaubhafte Medienberichte schildern viele weitere Aspekte, z.B. die Zustände in Umerziehungslagern (auch dies ein Rückgriff auf kommunistsche Praktiken aus der Mao-Zeit), in denen Hundertausende von Uigur/-innen ohne Prozess auf unbestimmte Zeit interniert werden.

Hier ein aktueller NZZ-Artikel zu diesem Thema:

https://www.nzz.ch › international › china-erlaubt-streng-kontrollierten-blick...

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