Bahnfahrt von Yining nach Urumqi

26. August 2019

Bellazmira will sich die zu erwartenden endlosen Kontrollen und Durchsuchungen in Urumqi, der Provinzhauptstadt von Xinjiang, nicht antun, und so reise ich für zwei Tage alleine.

 

Imposant wirkt zuerst einmal das Bahnhofsgebäude der chinesischen Kleinstadt Yining (rd. 450'000 Einwohner/-innen). Von den äusseren Dimensionen her vergleichbar mit dem KKL in Luzern, innen aber viel grösser. Imposant sind auch die vier Warteschlangen vor dem Gebäude, denn die Sicherheitskontrolle befindet sich nicht wie in Flughäfen tief drinnen, sondern gleich nach dem Eingang. Die Kontrolle ist schärfer als an jedem europäischen Flughafen.

Die chinesischen Reisenden – also alle ausser mir – scannen zuerst mal ihre ID, bevor sie selber gründlich gescannt und abgetastet werden und ihr Gepäck durch die Röhre laufen lassen. Ich werde auf die Seite genommen, mein Pass wird von zwei Kontrolleuren zwei Mal mit ihrem Smartphone fotografiert und dann offensichtlich mit einer Datenbank abgeglichen, denn es dauert eine Weile. Nach der Gepäckkontrolle werde ich wieder auf die Seite gewinkt, denn ich habe eine angebrochene Wasserflasche im Gepäck. Ich muss zunächst einen Schluck davon trinken, offensichtlich um zu beweisen, dass es kein flüssiger Sprengstoff ist. Dann riecht die Kontrolleurin vorsichtig an der offenen Flasche. Ist es eine Alkoholkontrolle? Das ganze Prozedere wird überwacht von finster dreinblickenden Polizisten mit Maschinenpistolen.

Nach den Kontrollen geht es zum Billettschalter. Dort herrscht das übliche Gedränge, Geschubse und Geschrei, das ich schon von meinen früheren China-Besuchen kenne, aber alles in einem völlig erträglichen Rahmen.

Beim Eingang zum Bahnsteig werden dann die personalisierten Tickets mit der ID bzw. in meinem Fall mit dem Pass abgeglichen. Dies wiederholt sich beim Einstieg in den Wagen und kurz vor Zugsabfahrt nochmals. Der Zug ist ausgebucht – ohne Reservation kein Zutritt – und es wird eng. Nicht für die Passagiere, aber für die Koffer und Schachteln, denn die meisten reisen mit viel Gepäck. Auf die Minute pünktlich fährt der Zug ab.

 

Chinesen sind sehr laut – lauter sogar als Spanier. Und laut sind sie nicht nur mittels ihrer Stimmen, sondern produzieren auch permanent andere Geräusche. Das Smartphone ist dazu ein praktisches Hilfsmittel, was man bei einer Zugsfahrt eindrücklich miterleben kann. Zwar benutzen die Jüngeren meistens Kopfhörer, aber an den über Vierzigjährigen scheint diese praktische Erfindung spurlos vorbeigegangen zu sein. Also hört man die Schnulzen und Actionfilme, die Lieblingsmusik und die Familienvideos über den Lautsprecher. Weil das viele machen und man sonst nichts versteht, muss man die Lautstärke natürlich voll aufdrehen.

Einen weiteren Beitrag zum Dezibelpegel liefert das Zugspersonal – immer zwei pro Wagen – die ca. alle 20 Minuten schreiend (was auch immer) durch den Wagen gehen, nein: marschieren. Nicht zu vergessen die Borddurchsage, die zumindest in den letzten zwei Stunden der Reise auf Dauerbetrieb geschaltet ist. Wenigstens sind die Polizisten, die ab und zu durch den Wagen patroullieren, ganz still. Und gut auch, sind keine Kleinkinder im Wagen! So wird man von Kindergeschrei und quiekenden Kindervideos verschont.

So sind also die meisten mit ihren Handies beschäftigt, auch ein Liebespaar, das einen Kopfhörer teilt und so Kopf an Kopf und eng umschlungen seinen Film geniessen kann. Eine junge Frau hat auf ihrem T-Shirt in grossen, bunten Buchstaben den Aufdruck "Make money - not friends!", eine wohl verbreitete Einstellung unter einem Teil der Jugendlichen. Ich bin der einzige – aber auch mit Kopfhörer im Ohr, damit ich wenigstens teilweise die Geräusche mitbestimmen kann – der aus dem Fenster schaut und die abwechselnde Landschaft geniesst: Von dürren Steppen über gebirgige Landschaften zu intensiv bewirtschafteten fruchtbaren Ebenen.

 

Das Zugspersonal steigert nicht nur den Lärmpegel, sondern kümmert sich auch intensiv um die Sauberkeit im Wagen. So sind die WCs immer absolut geruchlos und tadellos sauber, auch nach stundenlanger Bahnfahrt. Auch der Boden wird während dieser Reise zweimal mit dem Besen geputzt – alle Passagiere heben brav ihre Beine – und dann feucht aufgenommen. Auch der Abfall, von dem sehr viel produziert wird, denn die Chinesen bevorzugen Zwischenverpflegungen in Kleinstportionen, die einzeln abgepackt sind, wird regelmässig entsorgt. Der Wagen ist also auch nach stundenlanger Fahrt noch so sauber wie zu

Reisebeginn und sieht nicht aus wie die Kabine eines Flugzeugs nach einem Langstreckenflug. 

 

Es ist nicht so, dass alle Mitreisenden die ganze Zeit autistisch nur mit ihrem Smartphone beschäftigt wären. Man kommuniziert zwischendurch ungezwungen und locker. Auch ich suche das Gespräch, komme aber mangels Chinesisch- bzw. fehlenden Uigurkenntnissen nicht weit. Im Wagen scheint niemand Englisch zu sprechen.

Nach gut neun Stunden kommen wir mit einer halben Stunde Verspätung in Urumqi an. Hier in der Millionenstadt ist die Bahnhofshalle natürlich noch einiges grösser als in der Provinzstadt, wo wir gestartet sind. Der Anblick der Menschenmassen ist überwältigend. Alle Passagiere aus den 17 Wagen unseres Zuges strömen zur Sicherheitskontrolle. Ich werde wieder zur Seite genommen, aber zusätzlich zum obligaten Foto meines Passes trägt die Kontrolleurin noch handschriftlich in eine Liste ein, wo ich in Urumqi übernachten werde, wohin ich weiterreisen werde und wie meine Telefonnummer lautet. Meine Kontrolleurin hat sich bis jetzt aber nicht gemeldet…

Nach der Kontrolle wieder eine endlose Schlange vor dem Taxisstand und obwohl sich auch die Taxis in einer Schlange auf den Stand zubewegen, muss ich über eine halbe Stunde warten, bevor mich dann das Taxi durch das spätabendliche, aber immer noch sehr wache Urumqi zum Hotel bringt.

 

 

 

Danach geniesse ich noch ein mitternächtliches Abendessen in einem Hot Pot Restaurant.

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