Reisen in Zeiten des Coronavirus:

Das Ende der Unbeschwertheit im öffentlichen Raum

Im Juni nahmen die Coronavirus-Infektionen in Europa ab und die Einschränkungen für Reisen wurden von den meisten Staaten gelockert oder aufgehoben. Da die Infektionsrate auf den kanarischen Inseln gering war, wurde der interinsulare Verkehr ab Mitte Juni freigegeben. So beschlossen wir, als erstes El Hierro zu bereisen, eine Insel, die Bellazmira und ich noch nicht kannten. Wir nahmen das Flugzeug, da die Fährverbindungen noch sehr mager waren.

Die Situation auf dem Flughafen von Gran Canaria war gespenstisch: Wo vor dem Corona-Ausbruch durchschnittlich 180 Maschinen täglich starteten, wurden auf der Anzeigetafel gerade mal 18 Abflüge aufgeführt, alles kleinere Turboprop-Maschinen.

Alle Läden, Bars und Restaurants waren geschlossen und aus den Lautsprechern ertönte keine nervige Musik. Nur vor den Automaten mit Snacks und Getränken und beim Check-in standen ein paar Passagiere an, ebenso an den Gates kurz vor boarding, meistens mit dem geforderten Mindestabstand.

 

Auch das Besteigen des Flugzeuges lief relativ geordnet ab. Damit war es dann aber nach der Landung vorbei. Wie seit eh und je standen die meisten Passagiere kurz nach der Landung panikartig auf und drängelten sich mit eingezogenem Kopf minutenlang im engen und niedrigen Mittelgang.

Etwa so wie hier: https://www.youtube.com/watch?v=uvEfujX1fJc, aber mit Masken. Ein Phänomen, das ich mir nicht erklären kann und das offensichtlich auch mit Coronavirus weiter besteht.

 

Wir sind uns bewusst, dass wir mit Reisen ein erhöhtes Risiko eingehen, da wir mit vielen Menschen in Kontakt kommen. Dieses Risiko nehmen wir aber in Kauf, denn wir wollen uns nicht zu Hause vergraben, sondern neue Länder, Gegenden, Menschen und Kulturen kennen lernen. Wir informieren uns aber täglich über die aktuelle Coronavirus-Situation vor Ort und versuchen die Entwicklung abzuschätzen. Wir meiden Regionen, in denen es zu neuen Ausbrüchen kommt, zur Zeit - Ende Juli - z.B. Katalonien, Navarra und Aragon. Auch achten wir auf Abstand, waschen uns fleissig die Hände und tragen wenn immer sinnvoll oder gefordert eine Maske. Letzteres ist seit Mitte Juli in den meisten Regionen Spaniens der Falll.

 

 

Das hat aber auch Auswirkungen auf unser Verhalten in der Öffentlichkeit. Wir schlendern nicht mehr so unbekümmert durch die Strassen der Städte wie früher, sprechen nicht mehr so locker fremde Menschen an, unterdrücken Husten und Niesen und ich überlege mir zweimal, ob ich jetzt wirklich die Nase putzen muss.

Physical Distancing JA -  Social Distancing NEIN

Die WHO fordert zur Eindämmung der Pandemie ein Abstandhalten der Menschen in der Öffentlichkeit, eine räumliche Distanzierung und nennt dies in all ihren Verlautbarungen "physical distancing". In der deutsch- und auch in der spanischsprachigen Presse und auch in Deklarationen von Regierungen liest man aber immer wieder den Begriff "social distancing", was ich falsch und verheerend finde. Eine Gesellschaft braucht soziale Nähe, genau wie jedes Individuum, erst recht in schwierigen Zeiten. Soziale Distanz desintegriert eine Gesellschaft und schädigt den Zusammenhalt. Es gibt auch einige Verwandte und Freunde von Bellazmira, die sich nicht mit uns treffen wollen aus Angst vor einer Ansteckung und die zum Teil das Haus nur noch verlassen, wenn es unumgänglich ist.

 


 

Hier eine kurze Beschreibung, wie wir den Umgang der Menschen mit der Coronavirus-Situation in verschiedenen Ländern/Städten bisher wahrgenommen haben.

 

El Hierro (16.06. - 25.06.)

Auf El Hierro ( 11'000 Einwohner/-innen) gab es bisher nur eine einzige diagnostizierte Coronainfiszierung. Entsprechend entspannt war die Situation. In geschlossenen Räumen tragen die Menschen Masken, ausserhalb aber nie. Man bewegt sich ungezwungen, achtet aber auf Abstand. Die Einheimischen sind nun ziemlich unter sich, nur vereinzelt trifft man Besucher/-innen aus den Nachbarinseln. Einreisen aus dem spanischen Festland sind noch nicht gestattet.

 

Madrid (30.06. - 02.07)

Diese Stadt war einer der Hotspots Europas während des Höhepunktes der Pandemie. Das Gesundheitswesen war völlig überfordert und nahezu kollabiert. Die Särge stapelten sich in den Leichenhallen, es gab 8'400 Todesfälle.

Die sonst sehr lebendige Stadt mit ihrem berühmten Nachtleben wirkt zwar nicht gerade ausgestorben, aber doch ziemlich leer gefegt. In der Metro findet man jederzeit einen Sitzplatz und wartende Taxis bilden lange Schlangen an den Bahnhöfen und am Flughafen. Viele Bars und  sind noch zu. Diejenigen, die offen sind, können sich über Gäste nicht beklagen - vor allem, wenn sie über einen Aussenraum  verfügen.

Fast alle tragen auch in den Strassen eine Maske, aber in Gartenrestaurants treffen sich wieder Freunde, man küsst sich, ist entspannt und fröhlich, trinkt, sitzt nahe zusammen - einer der Hauptgründe, warum die Infektionszahlen wieder zunehmen, wie man heute weiss.

Im Hotel wird das neue Hygienekonzept riguros umgesetzt. Es gibt getrennte Ein-/ und Ausgänge, separate Bereiche für Check-in und Check-out und sämtliche Unterlagen werden bei Ankunft in einem geschlossenen Couvert überreicht, inklusive dem "Bitte nicht stören"- Schild.

Unser Hotel wollte nicht wie andere auf das Frühstücksbuffett verzichten und nahm deshalb einen grossen Aufwand in Kauf: Jedes Brötchen ist einzeln verpackt, Schinken und Käse gibt es in kleinen Portionen vakumiert, die warmen Speisen wie Eier nimmt man sich nicht selbst sondern bekommt sie überreicht. 

Am Ende des Frühstücks verlässt man den Tisch und hinterlässt einen Berg von Verpackungsmaterial und hat eine schlechtes Gewissen.

 

Salamanca und Umgebung

Auch diese Stadt hat sich seit der Pandemie stark gewandelt, wenn auch nicht so stark wie Madrid. Aber es gibt spürbar weniger Verkehr und weniger Menschen auf der Strasse. Beliebt sind aber auf dem Land Freundes- und Familientreffen. Auch wir haben mit einem mulmigen Gefühl an einem Famileinanlass teilgenommen, bei dem sich in einem Restaurant rd. 20 Personen zwischen 4 und 80 Jahren versammelten. Auf Abstand wurde kaum geachtet.

 

Portugal

hatte relativ wenig Infektionen und wenig Todesopfer (17 pro 100'000 Einw., vergleichbar CH) zu beklagen. Entspannter ist auch die Situation in den Strassen. In einer Grossstadt wie Oporto tragen zwar etwa die Hälfte in der Öffentlichkeit eine Maske, auf dem Land und in Kleinstädten nimmt dieser Anteil aber stark ab. Aber es ist überall selbstverständlich, dass man in geschlossenen Räumen (Läden, Museen, Kirchen und in Restaurants bis man sich gesetzt hat) eine Maske trägt.

 

zurück in Spanien

Die Entwicklung in Spanien ist nicht gut. Die Fallzahlen beginnen wieder zu steigen und die meisten Regionalregierungen (Ausnahme kanarische Inseln) haben eine Maskenpflicht eingeführt.

 

 

 

Nun muss man in der Öffentlichkeit immer eine Maske tragen, nicht nur in geschlossenen Räumen, mit Ausnahme im Restaurant während des Essens und im Auto, wenn man alleine oder mit Familienmitgliedern reist. Die Leute halten sich grösstenteils daran, auch in den kleinsten Dörfern, denn bei Missachtung drohen hohe Bussen. Widerstand gegen die Maskenplicht wie in andern Ländern haben wir hier nicht erlebt.

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