Ayodhya: Keine harmlose Tempeleinweihung

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Einweihungen von neuen Gotteshäusern liefern in der Regel keine grossen Schlagzeilen. Aber die Weihe eines neuen Hindutempels in Indien fand sogar internationale Beachtung und stiess auch auf Kritik.

Um das zu verstehen, muss man weit zurückblenden.

Der Bau der Babri-Moschee in Ayodhya

In der MItte des 16.Jh. liessen die muslimischen Herrscher in Ayodhya eine Moschee errichten, die Babri-Moschee. Am gleichen Ort soll sich laut Überlieferung ein Hindutempel befunden haben, gewidmet dem Gott Ram, der dort auf die Erde heruntergestiegen sei. Ram ist nicht irgendeiner der Millionen Götter im übervölkerten  hinduistischen Himmel, sondern er ist die Inkarnation des Gottes Vishnu, eines der wichtigsten Götter.

 

Auch nach dem Bau der Moschee blieb daher der Ort ein Wallfahrtsort für die Hindus, was schon früh zu Spannungen zwischen Hindus und Moslems führte.

Die Entweihung und Schliessung der Moschee

1949 brachen Hindu-Aktivisten in die Babri-Moschee ein und stellten dort Statuen und Bilder des Gottes Ram auf und verbreiteten die Saga, der Gott selbst sei wieder auf die Erde herunter gestiegen und habe sich mit diesen Objekten manifestiert. Hindu-Pilger strömten daraufhin in Scharen zur Moschee. Für die Moslems war das schon wegen des islamischen Verbots bildlicher Darstellung von Menschen eine massive Provokation. Um diese gefährliche Situation zu entschärfen schloss am 23. Dezember 1949 die lokale Regierung die Moschee und vebot sowohl Moslems wie Hindus den Zutritt. Dieser Zustand blieb die nächsten Jahrzehnte so, aber der Konflikt schwelte weiter.

Die Hindu-Nationalisten mobilisieren

In den 60-er Jahren wurden hindu-extremistische und gewaltbereite Organisationen wie die VHP und deren paramilitärischer Arm RSS gegründet, die sich unter anderem zum Ziel setzten, einen Tempel in Ayodhya auf dem Gelände der bestehenden Moschee zu bauen - mit allen Mitteln. Der heutige Premierminister Indiens, Narendra Modi, war aktives Mitglied und Funktionär der Organisation RSS. Die heutige Regierungspartei VJP setzte sich an die Spitze dieser Bewegung. Aber auch der Mörder von Mahatma Ghandi war Mitglied des RSS und wollte mit seiner Tat die Verständigungspolitik gegenüber den Moslems verhindern. Der RSS hat heute über 100'000 Tausend MItglieder und ist als Bürgerwehr organisiert.

Die Zerstörung der Moschee

Am 6. Dezember 1992 war es dann soweit: Nach einer jahrelangen massiven Propagandkampagne und minutiöser Planung durchbrach ein Hindu-Mob die Polizeisperren und demolierte die 500jährige Babri-Moschee bis auf die Grundmauern - nachdem zuvor die Statuen und Bilder des Gottes Ram in Sicherheit gebracht worden waren.

Daraufhin brachen in ganz Indien Unruhen aus, wobei rd. 2000 Moslems und Hindus den Tod fanden. Auch im Ausland führte das Ereignis zu harschen Protesten.

 

Schon in den 50er Jahren begann ein Rechtstreit über die Besitzansprüche des Grundstücks, der sich zäh durch alle Instanzen zog und erst 2019 vom Obersten Gericht Indiens beendet wurde. Das Urteil: Die Zerstörung der Moschee sei zwar illegal gewesen, das Terrain wurde aber vollständig den Hindus zugesprochen mit der Begründung, dass sich vor der Moschee, dort ein "nicht-islamisches Gebäude" befunden hätte.

Bau und Einweihung des Hindu-Tempels

Damit waren die Hindu-Extremisten ihrem Ziel, dem Bau eine Ram-Tempels auf dem Gelände, ein grosses Stück näher. Ein knappes Jahr nach der Urteilsverkündung erfolgte die Grundsteinlegung durch - natürlich-  den amtierenden Premierminister Narendra Modi. Nach dreieinhalb Jahren Bauzeit wurde nun der Tempel fertig gestellt, nein fertig ist er noch nicht, die Kuppel fehlt noch, was aber bei der Einweihung am 22 Januar 2024 bei den Fernsehübertragungen kaschiert wurde.

Wir konnten die Feierlichkeiten und deren Vorbereitung in Mumbai miterleben. Auf einen unbedarften Besucher musste dieses grosse Volksfest gewirkt haben, alles seien alle Inder überglücklich mit der Einweihung des Tempels. Es mutete wie ein grosses Volksfest an: Überall geputzte und geschmückte Tempel voller glücklicher Menschen, Musikgruppen, die mit fröhlicher Musik durch die Stadt zogen. 

Muslime sahen wir natürlich nicht unter den Feiernden. Die wenigen, mit denen wir Gelegenheit hatten, darüber zu sprechen, waren besorgt und beunruhigt - oder haben sich, so ein muslimischer Taxifahrer, geweigert, auf das Thema einzugehen.

Die Hindus, mit denen wir über den Ram-Tempel und über den Ministerpräsidenten Modi gesprochen haben (es waren nicht viele), freuten sich über diesen Anlass und sie wünschten sich auch eine Wiederwahl von Modi, auch wenn sie keine Hindu-Nationalisten sind, denn er hat mit seiner Politik der wirtschaftlichen Öffnung vor allem der Mittelschicht einiges gebracht.

Ich hatte befürchtet, dass es am Festtag zu Gewattausbrüchen hätte kommen können. Ein Funke - ein paar steinewerfende Moslems auf die feiernden Hindus - hätte wahrscheinlich genügt, und es wäre zu wüsten Ausschreitungen, schlimmstenfalls Pogromen gekommen, wie das in den letzten Jahrzehnten schon öfters passiert ist.

Die Hintergründe

Das Verhältnis zwischen den Hindus, die mit knapp einer Milliarde die Mehrheit im Land bilden, und den 175 Millionen Moslems war schon zur Zeit, als Indien noch eine britische Kolonie war, sehr angespannt. Immer wieder kam es zu gewalttägien Zusammenstössen, Brandanschlägen, ja Pogromen mit Tausenden von Toten, mehrheitlich Moslems.

- Die Teilung Indiens

Mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 wurde das Land geteilt und es entstanden das mehrheitlich muslimische Pakistan und das heutige Indien, in dem die Hindus die Mehrheit hatten und immer noch haben. Die Teilung verursachte eine nie dagewesene Massenvertreibung und Massenflucht. Moslems flüchteten aus Indien ins islamische Pakistan, während Hindus (und Sikhs) sich aus Pakistan nach Indien in Sicherheit brachten. Viele überlebten die Flucht nicht: Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 1 Million umgebracht wurden. Dadurch vertiefte sich der Hass zwischen den beiden Religionsgruppen wie auch zwischen den beiden Staaten immens - und es wurde massiv aufgerüstet. Seit 1974 ist Indien eine Atommacht, Pakistan set 1998.

- Das Massaker der Muslim-Terroristen

Am 26. November 2008 landeten 10 Terroristen der radikalislamischen Organisation Lashkar-i- Taiba (Armee der Reinen) von Pakistan kommend in Mumbai und verübten an verschiedenen ein Massaker mit 193 Toten und 564 Verletzten. Der Anschlag wirkte auf die indische Gesellschaft wie 9/11 auf die us-amerikanische: traumatisierend.

- Der Premierminister und die Hindu-Nationalisten

Im Mai 2014 wurde Narendra Modi von der Radikalhinduistenen Partei BJP zum Ministerpräsidenten gewählt, was nicht zu einer Verbesserung des interreligiösen Verhältnisses führte, im Gegenteil: Modi fördert das Klima des Hasses, spaltet die Gesellschaft und deckt gewaltbereiten Extremisten. Er hat auch schon einige hinduistisch geprägten Gesetze durchgebracht, so z.B. das Verbot, Kühe/Rinder zu schlachten, das ausser in Kerala in allen Bundesstaaten gilt. In diesem Zusammenhang kommt es auch immer wieder zu Lynchmorden, begangen durch Bürgerwehren, sog. Kuh-Vigilanten, die meistens Moslems, aber auch Christen verdächtigen, Kühe zu schlachen.

Angeheizt werden die Hindus nicht nur durch radikale Politiker, sondern auch durch extremistische Popsänger, welche Moslems auffordern, Indien zu verlassen und Jugendlichen zu Gewalttaten auffordern. 

Im April/Mai dieses Jahres sind Parlamentswahlen. Die Propagandamaschine läuft schon auf Hochtouren, in allen Medien ist Modi sehr präsent, in den Strassen hängt sein Porträit in Überlebensgrösse und bei der Einweihung des Ram-Tempels in Ayodiya, die im TV stundenlang übertragen wurde, war er der einzige Star.

Niemand in Indien zweifelt daran, dass Modi wiedergewählt wird. Die Mehrheit der Hindu-Stimmen ist ihm sicher, das genügt.

- Radikalisierung der Muslime

Derweil gibt es starke Anzeichen dafür, dass sich auch die muslimische Community radikalisert. Ein sichtbares Anzeichen dafür ist, dass es viel mehr total verschleierte Frauen gibt als bei unserem letzten Besuch vor rund 10 Jahren. Auch seien extremistische Prediger v.a. aus Indonesien in Indien vermehrt aktiv.

Keine guten Aussichten für die indische Gemeinschaft. Das Land bleibt ein Pulverfass.

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Kommentare: 1
  • #1

    Carmen Ortega Lozano (Freitag, 08 März 2024 09:40)

    Buenos días, hoy lo tuve que traducir Willi. Hasta que yo pueda leer todo esto....me queda mucho por aprender.
    Os mandamos un saludo muy fuerte. Espero que os encontreis bien.